Die Entstehunggeschichte der Nordsüdbahn ist bis zur Fertigstellung äußerst wechselreich. Sowohl die Vorverhandlungen und Entwurfsarbeiten, wie auch die Bauarbeiten selbst führten in bunter Reihenfolge an wichtigen technischen und kommunalpolitischen Entwicklungsperioden und ersten Zeitabschnitten vorbei.

Es lag nahe, daß der Begründer des elektrischen Bahnbetriebes, Werner von Siemens, nach der Vorführung seiner Versuchsbahn auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879 versuchen würde, den Schnellbahngedanken in Berlin zu verwirklichen. Bereits 1881 legte er den ersten Entwurf einer elektrischen Schnellbahn durch die Friedrichstraße vor, und seit dieser Zeit waren die Verhandlungen über die Nordsüdbahn dauernd im Fluß

1891 wurde von der Firma Siemens & Halske bereits ein umfangreicher Entwurf für elektrische Hochbahnen vorgelegt. Unterpflasterbahnen lehnte der Schöpfer der Berliner Kanalisation, der damalige Stadtbaurat Hobrecht, grundsätzlich ab. Dieser Standpunkt erscheint im ersten Augenblick befremdlich, doch darf nicht vergessen werden, daß zu jener Zeit die Technik des Untergrundbahnbaues im wasserdurchtränkten Sand und Untergrund noch weit zurück und wenig entwickelt war. Stadtbaurat Hobrecht fürchtete nicht ohne Grund für die von ihm mit vieler Mühe mustergültig ausgebaute und vor kurzem vollendete Berliner Kanalisation.

Gleichzeitig trat 1891 auch die AEG. dennoch mit dem Entwurf einer Reihe von Röhrenbahnen, darunter eine Linie durch die Friedrichstraße an die Öffentlichkeit, nachdem sie durch den Bau des heute noch vorhandenen Probetunnels in Röhrenform, der bei Treptow die Spree unterfährt und ihre beiden Ufer mit einander verbindet, die Möglichkeit dieser Art des Tunnelbaus praktisch nachgewiesen hatte. Doch konnten selbst hierdurch die Bedenken gegen den Bau von Röhrenbahntunneln im wasserdurchtränkten Berliner Untergrund nicht beseitigt werden.

Die folgenden Daten geben ein Bild von der weiteren Entwicklung des Untergrundbahnwesens in Berlin:

1895: wurde zwischen der Firma Siemens & Halske und der Stadt Berlin der Vertrag über die Ausführung der Hochbahnstrecke von der Warschauerbrücke bis zum Bahnhof Zoologischer Garten mit der Anschlußstrecke nach dem Potsdamerplatz geschlossen.

1897: wurde zur Durchführung dieses Unternehmens die Hochbahngesellschaft gegründet, die dann das 1895 genehmigte Stammunternehmen weiter ausbaute.

In demselben Jahre trat ein Wechsel in der Leitung des Berliner Tiefbauwesens ein: Stadtbaurat Krause trat an die Stelle von Hobrecht.

Stadtbaurat Krause stand dem Bau von Unterpflasterbahnen nicht mehr ablehnend gegenüber, doch nahm er die Nordsüdbahn als zukünftiges städtisches Unternehmen aus dem Aufgabenbereich der Privatwirtschaft heraus.

1905: genehmigten die Berliner Stadtverordneten den Entwurf für den Bau einer Untergrundbahn von der Seestr. im Norden Berlins durch die Müller-, Friedrich-, Charlotten-, Markgrafen- und Yorckstraße nach Schöneberg.

1910: wurde die vorstehend genannte Linienführung verkürzt, sodaß nur noch die Strecke: Seestr.-, Müllerstr.-, Friedrichstr. mit dem Halleschen Tor als Endbahnhof übrig blieb, weil Schöneberg sich inzwischen für den Anschluß an die Hochbahn am Nollendorfplatz entschieden hatte.

1911: erfolgte die Genehmigung der Nordsüdbahn von der Seestr. bis Belle-Alliance-Str. mit einer Bahnhofsausbildung an dieser Stelle, die sowohl den Anschluß nach Tempelhof als auch nach Neukölln ermöglichte. Eine endgültige Klärung der Frage der Fortführung der Bahn über die Berliner Weichbildgrenze hinaus war mit den in Frage kommenden Gemeinden Tempelhof und Neukölln nicht zu erreichen.

1915: Vertrag mit Neukölln über die Fortführung der Nordsüdbahn durch die Belle-Alliance-Str. und Gneisenaustraße nach Neukölln.

Mit den Bauarbeiten der Nordsüdbahn wurde am 2. Dezember 1912 begonnen. Man hoffte, den Bau in 2½ bis 3 Jahren zu vollenden. Der Ausbruch des Weltkrieges trat hindernd in den Weg, als die Arbeiten im belebtesten Straßenzug Berlins, in der Friedrichstraße, voll im Gange waren.

An eine Stillegung der Bauarbeiten war nicht zu denken, weil man dann die ausgeschachteten Baugruben wieder mit Erdboden hätte zuschütten müssen. Man war gezwungen, die Arbeiten, so gut es eben in der Kriegszeit ging, fortzuführen, um die angrenzenden Häuser nicht zu gefährden. Schließlich kamen die Arbeiten gegen Ende des Krieges doch zum Stillstand.

Die Beendigung des Krieges brachte wohl Arbeitskräfte, aber es fehlte an Baumaterial und Geld. Dazu kamen die politischen Umwälzungen und unruhigen Zeiten. Trotzdem verlor man den Mut nicht.

Aber auch die schwere wirtschaftliche Katastrophe der Inflationszeit mit dem vollständigen Zusammenbruch der Währung traf das Nordsüdbahn-Unternehmen in vollem Umfang. Man kann sich bei den heutigen, durch die feste Währung einigermaßen geregelten Verhältnissen kaum noch vorstellen, welche Schwierigkeiten bei den umfangreichen Baubetrieben der Nordsüdbahn während der Inflationszeit zu überwinden waren.

Doch trotz aller Hindernisse wurde das Unternehmen vorwärts getrieben, vollendet und abschnittsweise an folgenden Tagen in Betrieb genommen:

Stettiner Bahnhof - Hallesches Tor am 30. Januar 1923
Stettiner Bahnhof - Seestraße am 8. März 1923
Hallesches Tor - Gneisenaustraße am 19. Apri 1924
Gneisenaustraße - Hasenheide am 14. Dezember 1924
Belle-Alliance-Str. - Kreuzberg am 14. Februar 1926

Im April 1926 wird die Anschlußstrecke bis Neukölln, Bergstraße eröffnet

Mit der Inbetriebnahme der letztgenannten, 2,71 km langen Strecke Hasenheide - Bergstraße wird der dichtbevölkerte Stadtteil Neukölln endlich an das Schnellbahnnetz Berlins angeschlossen. - Die Betriebslänge der Nordsüdbahn vergrößert sich damit von 9,68 km auf 12,39 km.

Das Gesamtnetz der Berliner Hoch- und Untergrundbahnen erhöht sich von 45,3 km auf 48,01 km Betriebslänge. Die Nordsüdbahn ist an diesem Gesamtnetz mit 26,9 % beteiligt.

Zu den 16 Bahnhöfen der Nordsüdbahn kommen jetzt weitere 3 Bahnhöfe hinzu und zwar
1. der Kreuzungsbahnhof Hermannplatz.
2. Zwischenbahnhof Rathaus Neukölln.
3. Zwischenbahnhof Bergstraße in Neukölln, der vorläufig den Endbahnhof bildet.

Von der 2,71 km langen neuen Nordsüdbahn-Strecke liegen 1,18 km auf Alt-Berliner Gebiet und der Rest von 1,53 km auf Neuköllner Gebiet. Der Rohbau der Neuköllner Strecke in der Berliner- und Hermannstraße wurde bereits in den Jahren 1920-1923 von der Gemeinde Neukölln ausgeführt. Die Bahnhofsentfernungen betragen:
Hasenheide - Hermannplatz 1176 m
Hermannplatz - Rathaus Neukölln 859 m
Rathaus Neukölln - Bergstraße 676 m

Auf dem Hermannplatz in Neukölln schneiden sich die Nordsüdbahn und die AEG.-Bahn in einem Kreuzungs- oder Turmbahnhof. Die außergewöhnliche Bedeutung des Hermannplatzes in Neukölln für den Verkehr verlangte eine entsprechende Ausbildung und Ausstattung der Bahnhofsanlagen: breite Bahnsteige, breite Treppen, Erleichterung des Umsteigeverkehrs durch Rolltreppen usw. Vorläufig werden auf dem Hermannplatz nur die Anlagen der Nordsüdbahn in Betrieb genommen.

Wichtig ist die Gleisverbindung zwischen der nunmehr fertiggestellten Nordsüdbahnstrecke und der im Bau befindlichen AEG.-Bahn, die jedoch nur der außerfahrplanmäßigen Überführung von Personenwagen und sonstigem rollenden Material, das für beide Bahnen einheitlich sein wird, dient. Größtmögliche Leistungsfähigkeit der Bahn im Rahmen ihres Ausbaues, sowie der Bahnhöfe, wird durch die auf sämtlichen Hoch- und Untergrundbahnen Berlins einheitlich durchgeführte selbsttätige Signalsicherungsanlage gewährleistet. -

Mit dem Bau des Untergrundbahnhofes Hermannplatz wird auch die seit mehr als 30 Jahren erstrebte Verbreiterung und Neuregulierung des Hermannplatzes selbst durchgeführt. Hierbei muß die Häuserreihe an der Westseite des Hermannplatzes niedergelegt werden, um durch Verbreiterung des Platzes eine dem Verkehr entsprechende Straßeneinteilung schaffen zu können.




Originaltext einer Broschüre zur Eröffnung der U-Bahnstrecke Hasenheide - Bergstraße (heute Südstern - Karl-Marx-Straße) von 1926.


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